Das Bild 1

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Königsberg, 1912

„Nein, Mama. Du kannst mich nicht dazu zwingen!" sage ich laut.

Vor Zorn trifft die Klinge des Kartoffelmessers meinen Daumen. Ich zische und sauge das Blut heraus. Meine Mutter, Eugenia Marie von Hofstetten, schaut mich tadelnd an.

„Es ist der letzte Wunsch deines Vaters, Martha! Du weißt, wieviel er von diesem jungen Mann gehalten hat. Nun lass die Arbeit doch, dafür gibt es Personal."

Ich seufze.

„Mama, hör zu. Ich will alles tun, um dich glücklich zu machen. Aber Karol ist zu jung für mich und...glaube mir, er strebt eine Karriere beim Militär an. Deshalb war er so darauf versessen, Vater zu gefallen."

Mutter nickt.

„Das ist wahr, das tut er, jedoch ist dies kein Hindernis für eine Hochzeit zwischen euch. Und deine Schwester will endlich ihren Leopold heiraten, also tu ihr den Gefallen und eheliche deinen Cousin."

Ich schüttele den Kopf.

„Das werde ich nicht. Ich...bin nicht geschaffen für die Ehe!"

Mutter wird lauter:

„Nun, wir haben alle Opfer bringen müssen! Das ist nun einmal unser Schicksal!"

Plötzlich stürmt Lena, unsere Köchin, in die Küche.

„Frau von Hofstetten, eine Kutsche ist vorgefahren! Ihre Schwester Karolina Czupran!"

„Mama!" schimpfe ich. „Sag nicht, das du Tante Karolina schon zugestimmt hast!"

„Nun ziehe dir etwas Anständiges an, was soll dein Bräutigam von dir denken!" antwortet Mutter, ohne darauf ein zu gehen.

Dann rauscht sie aus der Küche. Ja, es hört sich ganz so an, als wäre alles schon unter Brief und Siegel! Ich laufe zum Fenster und schaue auf den Innenhof. Mein Cousin, mit dem ich tatsächlich als Kind viele Stunden auf dem Landgut seiner Familie zugebracht habe, hält seiner Mutter die Tür auf und sie steigt elegant aus der Kutsche. Zugegeben, Karol sieht hübsch aus in Uniform. Er ist...ein attraktiver Mann, groß gewachsen mit leuchtenden Augen und schönen Gesichtszügen. Aber seitdem er seine Leidenschaft für die preußische Arme entdeckt hat, kann ich nichts mehr mit ihm anfangen. Vielleicht auch, weil ich acht Jahre älter bin als er...

Madame Clementine, meine Gouvernante, stopft mich in ein wallendes, zartrosa Kleid, das ich scheusslich finde. Ich sehe aus wie ein dickes Ferkel! Wütend stapfe ich die Stufen hinunter. Ich höre Stimmen aus dem Wohnzimmer und klopfe an.

„Komm rein, Liebes." höre ich die helle Stimme meiner Mutter.

Ich öffne die schwere Tür und sofort trifft mich ihr abschätziger Blick. Dann seufzt sie und sagt:

„Liebste Schwester, da ist sie nun. Karol- deine Cousine Martha. Wie lange habt ihr euch nicht gesehen?"

„Zehn Jahre, liebe Tante." murmelt er freundlich, doch sieht man ihm an, dass er wohl nicht erfreut darüber ist, hier zu sein.

Ich begrüsse beide mit einem Knicks. Wir nehmen am Kaffeetisch Platz und meine Tante beginnt eine höfliche Konversation. Ich fühle mich wie ein Stück Vieh, das gerade an den Meistbietenden verkauft wird! Eine Sekunde trifft mich Karol's hübscher Blick und ich schaue schnell wieder auf meine Hände, die ich im Schoß liegen habe. Und erschrecke. Die Wunde am Daumen blutet und der Seidenstoff des Kleides ist mit roten Flecken übersät! Während Mama mit ihrer Schwester scherzt, versuche ich, unauffällig nach der Serviette zu greifen, die neben dem Kaffeegedeck liegt. Natürlich stelle ich mich vor Aufregung etwas ungeschickt an, die Teegabel fällt zu Boden und es klirrt. Schnell lege ich die Serviette in den Schoß und will die Gabel aufheben, da wird sie schon von einer rauhen Hand gegriffen. Karol lächelt mich an.

I dreamed of a tall manWhere stories live. Discover now