Unit 20

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Da Weihnachten dieses Jahr ein Donnerstag war hatte ich die Tage davor schon frei, während Anna und Tim in Deutschland noch zur Schule mussten. Das Problem war nur, dass ich die letzten paar Tage so gut wie alleine gewesen war. Henry war zusammen mit seinem kleinen Bruder George nach Hause gefahren und würde erst wieder nach den Feiertagen kommen. Agatha und Amy hatten beide nicht allzu viel Zeit für mich und Shila und Libby verbrachten die Ferien ebenfalls nicht im Internat. Wäre auch irgendwie traurig, Weihnachten alleine dort zu sein.

Bei Shila war ich in ein ziemliches Fettnäpfchen getreten, denn als sie erzählt hatte über Weihnachten zu ihren Großeltern zu fliegen, hatte ich nachgefragt wie lange sie in Indien bleiben wird.

Sie war etwas beleidigt, weil ihre Großeltern schon in Glasgow aufgewachsen waren und eigentlich rein gar nichts mit Indien zu tun hatten. Naja, das war ein bisschen peinlich, aber nach einer Entschuldigung hatte sie mir dann doch verziehen.

Die Tage vor Heilig Abend verbrachte ich also damit zu lernen, obwohl ich mir fast sicher war, dass ich mich nach Silvester eh an nichts mehr erinnern konnte.

Dadurch, dass alle anderen im Moment nicht da waren, fühlte ich mich also wieder fast so einsam wie vor ein paar Monaten, als wir nach England gezogen waren. Und aufgrund der Tatsache das Anna und Tim in zwei Tagen kamen, wollte ich einfach nur das Weihnachten schnell vorüber ging. Daran änderte auch nicht wirklich etwas, dass meine Großeltern gekommen waren. Da sie in Deutschland auch recht weit weg von uns lebten, war ich daran gewöhnt sie nicht allzu oft zu sehen. Trotzdem war es natürlich schön, als mich meine Oma wieder drückte und mein Opa mir über die Haare streichelte. Für beide war Mums Entscheidung nach England umzuziehen auch nicht so ganz verständlich. Aber was hätten sie dagegen tun sollen, Mum war schließlich „erwachsen".

Die beiden waren mit dem Zug hergefahren und schliefen während den Feiertagen in Mums Zimmer, weshalb meine Mutter freiwillig auf die Couch gezogen war. Zum Glück. Ich selber hätte ehrlich gesagt keine Lust gehabt dort zu schlafen. Bequem war was anderes.

Am Heiligabend hatten wir ganz traditionell „deutsches Weihnachten" gefeiert. Zuerst gab es Bratwürste mit Sauerkraut, die Oma und Opa mitgebracht hatten, danach Geschenke und später hatten wir uns dann auf den Weg in die Stadt gemacht, weil Mum eine kleine katholische Kirche gefunden hatte wo wir dann die Christmesse besuchten. Es war komisch, dass der Gottesdienst auf Englisch gehalten wurde. Vor allem, weil meine Großeltern kein Englisch sprachen. Aber die elementaren Dinge waren gleich und so checkten wir wenigstens grob um was es ging.

Nach der Kirche spazierten wir nun durch Canterbury, das mit der ganzen Weihnachtsbeleuchtung einfach märchenhaft schön war. All die geschmückten Fenster und Lichterketten, die von einer Straßenseite zur anderen hingen ließen mich fast vergessen, wie sehr ich fror.

Den Kopf hatte ich eingezogen und meine Nase unter meinen dicken Schal gesteckt. Es war eisig kalt und ich hoffte darauf, dass es bald schneite. Auch wenn wir in Deutschland oft keinen Schnee hatten. Mit Schnee war Weihnachten einfach schöner.

Während wir so dahin gingen kam Mum zu mir und legte einen Arm um mich, damit sie mich zu sich ziehen konnte.

„Frohe Weihnachten, Süße... ich hoffe du findest es mittlerweile in Ordnung, dass wir hier sind", meinte sie leise und hatte diesen undefinierbaren Blick in ihren Augen. Verstanden hatte ich immer noch nicht, wieso wir umziehen mussten, aber mittlerweile hatte ich es akzeptiert. Und so nickte ich und nuschelte in meinem Schal: „Ja irgendwie schon. Aber findest du es hier jetzt wirklich so viel besser als in Deutschland?"

Diese Frage brannte mir schon seit ein paar Wochen auf den Lippen. In der neuen Kanzlei war Mum viel beschäftigt, noch mehr als in Deutschland. An den Wochenenden traf sie sich mit Linda und ihren Freundinnen zum Tee, einen richtigen Freundeskreis wie sie früher hatte gab es allerdings noch nicht. Und einen Typen hatte sie auch nicht kennen gelernt, denn wenn, hätte sie es mir schon längst erzählt. Meine Mum war da nie besonders geheimnistuerisch. Manche Single-Eltern versuchten ja neue Beziehungen von ihren Kindern versteckt zu halten, bei meiner Mutter hatte ich eher das Gefühl, dass sie damit angeben wollte, wenn sie mal wieder einen neuen Typen aufgerissen hatte. Aber wie gesagt, seit wir in England lebten gab es keinen neuen Mann mehr in ihrem Leben.

Englisch für AnfängerWhere stories live. Discover now