Mit zusammengepressten Lippen sehe ich auf den Staubsauger und den Putzeimer. Okay, ich habe entschieden, dass ich es besser finden würde, wenn Harry nicht da wäre. Ich hätte lieber eine freundliche Begrüßung geschätzt, als so pampige Worte von ihm, auch wenn ich weiß, dass das normal bei ihm ist. Wenigstens hier hätte er doch netter sein können. Ich kenne wirklich keinen einzigen Menschen, der je so barsch mit mir umgegangen ist.
Argwöhnisch nehme ich den Stiel des Staubsaugers in die Hand und suche das Kabel, um Strom darauf zu bekommen. Ich möchte sofort wieder nach Hause. Nicht, weil ich keine Lust habe zu arbeiten, sondern einfach, weil Harry mir so ein ungutes Gefühl vermittelt. Als ich nach fünf Minuten immer noch kein Kabel finden kann, bin ich dazu gezwungen, Harry zu rufen. Ich habe kurz überlegt Grandpa anzurufen und zu fragen, aber dann würde ich mir doof vorkommen.
Harry kommt mit schweren Schritten aus der Küche und ich höre ihn schon von weiten Fluchen.
„Ich finde das Stromkabel nicht", erkläre ich kleinlaut und zeige auf den Staubsauger.
Schweigend geht er darauf zu und drückt einen Knopf, worauf der Sauger anspringt.
O. Das hätte ich auch selbst finden können. Beschämt sehe ich von ihm weg und bin froh, jetzt nichts mehr sagen zu müssen, da der Staubsauger so laut ist.
Gereizt dreht er sich wieder um und will gerade weggehen, da geht der Staubsauger wieder aus. Er dreht sich wieder zu mir und scheint mir mit seinen Augen vorzuwerfen, dass ich ihn ausgemacht hätte.
„Ich war das nicht!", sage ich sofort. „Er ist einfach ausgegangen!" Ich knie mich nach unten und drücke den Knopf. Nichts passiert. Ich drücke ihn erneut, und wieder und wieder. Er geht einfach nicht mehr an.
„Klasse", knurrt Harry und atmet tief ein und aus.
Als wäre es meine Schuld, sehe ich ihn entschuldigend an, obwohl ich dafür genau so wenig kann, wie er. „Was soll ich jetzt tun?"
Kurz überlegt er, dann dreht er sich wieder weg und geht zur Küche: „Komm mit mir."
Ich lege den Staubsauger beiseite und folge ihm gehorsam. Ich frage mich, welchen Posten er wirklich hier im Hotel hat. Er sollte jetzt neunzehn Jahre alt sein, normalerweise ist man da doch noch kein Hausmeister. Zumindest nicht allein. Es muss noch einen älteren, erfahreneren Hausmeister hier geben. Vielleicht ist Harry auch nur Aushilfe. Schon wieder bilden sich zehntausend Fragen in meinem Kopf, wie zum Beispiel, welchen Schulabschluss er hat oder wie er zu diesem Job gekommen ist.
Wir kommen in die Küche und Harry drückt mir einen Putzlappen in die Hand, ohne mich auch nur anzusehen und setzt sich wieder an seinen alten Arbeitsplatz unter der Spüle. Er ist anscheinend kein Verfechter von vielen Worten.
„Soll ich etwas säubern?", frage ich, weil er mir keine Anweisung gegeben hat.
„Offensichtlich", ertönt seine dunkle Stimme abgedämpft.
Ich muss mir einen Seufzer unterdrücken. Ihm fehlt jegliches Benehmen. Anscheinend hat er mich noch immer nicht als Honor erkannt und theoretisch bin ich für ihn irgendein fremdes Mädchen, doch trotzdem ist er so ... so kalt. Wenn er Mädchen kennt, dann müssen sie ihn hassen. Hat er Freunde? Geht er vielleicht nur mit Mädchen so gemein um? Vielleicht hat er ja eine Freundin und will deshalb mit anderen Mädchen nichts zu tun haben, weil er nur sie liebt. Den Gedanken vergesse ich allerdings wieder schnell. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Mädchen mit solch einem Charakter klarkommen würde, auch wenn er mehr als gut aussieht. Ich könnte das nicht.
Als ich gerade den Putzlappen auf einer Kochplatte ansetzen will, ertönt wieder Harrys Stimme. „Vielleicht solltest du den Lappen nass machen und Putzmittel benutzen, denkst du nicht?"
Verwirrt sehe ich zu ihm. Er hat seinen Kopf noch immer unter der Spüle, doch selbst wenn er mich nicht sieht, ist er gemein. Doch eigentlich hat er Recht. Harry bringt mich so durcheinander, dass ich sogar mit einem trockenen Lappen sauber machen wollte. Ich gehe zu dem Waschbecken, wo er gerade nicht am Werkeln ist und mach den Lappen nass. „Wo sind die Putzmittel?", frage ich und erwarte schon die nächste unfreundliche Antwort.
„Mach die Augen auf." Da ist sie.
Ich sehe mich um und erblicke sofort die mehreren Putzmittel, die auf dem Herd stehen. Ich gebe ein wenig davon auf den Lappen.
„War nicht so schwer oder?"
„Ja", hauche ich leise und wische über die Kochplatte. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er etwas netter zu mir sein könnte, doch ich schweige. Jedes Mal, wenn ich es ihm früher gesagt habe, war er noch gemeiner und ich bin mir fast sicher, dass er sich in dieser Richtung genauso wenig geändert hat.
Für eine Weile arbeiten wir einfach schweigend vor uns hin. Und schließlich breche ich die Stille. „Ich heiße übrigens Honor."
Er sagt nichts dazu.
Nachdenklich verziehe ich den Mund. Okay, ich darf nicht aufgeben, er kann mich nicht die ganze Zeit ignorieren. „Also eigentlich heiße ich Honor – Marie. Meinen Nachnamen kannst du dir vielleicht schon denken", witzle ich und lache etwas. Weil er immer noch nicht redet, frage ich: „Darf ich vielleicht deinen Namen wissen?"
Ich höre, wie Harry seinen Kopf aus der Spüle hervorholt und die Regaltür schließt. Er stellt sich hin, sodass ich ihn jetzt sehen kann. „Ich bin mir sicher, dass du ihn schon kennst", meint er monoton und wirft sich einen Lappen über die Schulter, während er zur nächsten Spüle geht, was noch mehr Abstand in dieser riesigen Küche zwischen uns bringt.
„Woher sollte ich ihn wissen?", frage ich und meine Stimme steigt ein paar Vokale. Das passiert jedes Mal, wenn ich lüge. Ich bin eine grausame Lügnerin.
Harry verdreht die Augen und verschwindet wieder in der Spüle. Er scheint Konversation wirklich zu hassen.
Ich seufze. „Du heißt Harry oder?", traue ich mich schließlich zu fragen.
„Du machst deinem Hobby als Stalker alle Ehre."
Jetzt steht es fest. Er ist wirklich Harry. Zwar war es mir die ganze Zeit schon klar, doch jetzt habe ich den direkten Beweis. Anscheinend hat er mich an meinem Namen nicht erkannt, doch ich muss unbedingt wissen, ob er sich an mich erinnert. Ich meine, ich war als kleines Mädchen wirklich oft bei ihm und die einzige Person, die Nähe zu ihm aufgebaut hat, er kann mich doch gar nicht vergessen haben.
„Wir waren früher in der Grundschule in der gleichen Klasse", fange ich vorsichtig das Verhör an.
Wieder schweigt er.
„Vielleicht erinnerst du dich an mich ... Sagt dir der Name Honor nichts?"
„Nein."
„Verstehe", sage ich leise und wische weiter über die Platte. „Aber vielleicht erinnerst du dich an, ähm, so ein kleines blondes Mädchen, dass immer mit dir spielen wollte? Ich habe oft versucht mit dir zu reden."
Harry stellt sich wieder hin und legt ein paar Schrauben auf den Tisch. „Sagt mir nichts." Er klingt so extrem desinteressiert, dass es fast wehtut.
Doch so schnell gebe ich nicht auf. Er muss lügen. Er muss sich an mich erinnern. „An deinem letzten Tag, hast du mir Taschentücher geschenkt. Kannst du dich noch an Jimmy erinnern?"
Er scheint tatsächlich zu überlegen. Eine Falte bildet sich zwischen seinen Brauen, während er gerade mit einem Tuch über seinen Schraubenschlüssel wischt. Er sieht ernst aus, doch dann bildet sich ein spöttisches Grinsen auf seinen Lippen. „Natürlich. Honor. Du bist diese kleine Heulsuse."
Bei jedem weiteren Wort, das er gesagt hat, ist mehr Hoffnung in mir gestorben. Toll. Er erinnert sich an mich, doch betitelt mich sofort als Heulsuse. Jetzt sieht mich nicht mehr der erwachsene Harry an, sondern der kleine, gemeine Junge, der mich ständig beleidigt hat.
Ich nehme verletzt meinen Blick von ihm und sehe auf meine Hand, die schon zum millionsten Mal über die selbe Stelle wischt. „Ja ... Das bin ich. Heute bin ich nicht mehr so."
Er lacht leise und ich erkenne Grübchen in seinen Wangen. Das ist das erste Mal, dass ich sie sehe, weil er früher nie gelacht hat. Wirklich nie. „Hast dich trotzdem kein Stück verändert", spottet er.
„Was?"
„Du verfolgst mich immer noch und gehst mir auf den Sack."
„Ich verfolge dich nicht!", stelle ich klar. Ich kann doch nichts für Zufälle.
„Sich hinter einem Auto verstecken und mich beobachten, willst also wie betiteln?" Er hebt gehässig eine Braue.
Ich werde rot. Wenn man es so sieht, hat er Recht. Ein wenig seltsam klingt das schon, aber ich wollte doch nur wissen, ob er wirklich Harry ist. „Keine Ahnung", sage ich beschämt. Er verschwindet wieder unter der Spüle und es entsteht erneut Stille. Ich überlege, ob ich ihm einfach ein paar Fragen stellen sollte. Mehr als unfreundlich sein, kann er sowieso nicht und das ist er auch, wenn ich ihm keine Fragen stelle. „Wieso bist du damals in der dritten Klasse gegangen?"
Was sagt ihr so? Ist Harry zu gemein? Ich in mir so unsicher :D