1.2 Die Erzählperspektive

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Ehe man den ersten Satz zu Papier gebracht hat, muss man sich als angehender Autor viele kleine technische Details überlegen

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Ehe man den ersten Satz zu Papier gebracht hat, muss man sich als angehender Autor viele kleine technische Details überlegen. Eines davon ist die Frage der Erzählperspektive. Als Schreibanfänger mag man sich eventuell keine Gedanken darüber machen: Man schreibt einfach drauf los und wählt den Stil, der einem natürlich zukommt. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein: Man hat schon einmal davon gehört, dass es verschiedene Stile gibt und nun starrt man ewig auf das leere Blatt und weiß nicht, woher man wissen soll, was richtig ist. Genau dieser Frage möchte ich in diesem Beitrag nachgehen.

Ich schicke direkt voraus, dass ich hier keine literaturwissenschaftliche Analyse betreibe und entsprechend die beiden Kategorien Erzählperspektive und Erzähltechnik in einen Topf schmeiße und drei verschiedene Erzähler daraus kreiere. Dies hat den einfachen Grund, dass einem in moderner Literatur und insbesondere im Genre der Fanfictions diese drei Typen von Erzählern am häufigsten über den Weg laufen und entsprechend für den Leser leichter zu verstehen ist, worauf ich hinaus will, wenn ich nicht zu wissenschaftlich werde.


Der auktoriale Erzähler

Eine heutzutage sehr selten genutzte Form ist die Perspektive des auktorialen Erzählers, manchmal auch allwissender Erzähler genannt. Hierbei handelt es sich um einen Stil, der nicht davor scheut, dem Leser deutlich zu machen, dass es einen Erzähler gibt. Viele Märchen sind in dieser Form geschrieben, wenn man sie liest, hat man unwillkürlich einen Großvater oder eine Großmutter vor Augen, die von vergangenen Ereignissen in der Ferne der Fantasiewelt erzählen. Der auktoriale Erzähler, der allwissend ist, schaut von oben auf die Welt und die Personen herab, er weiß zu jedem Zeitpunkt, was welche Figur denkt und tut. Nicht selten fließen eigene Bewertungen dessen, was geschieht mit ein, teilweise wird sogar das Wörtchen "Ich" eingebaut. Ein auktorialer Erzähler kann niemals Teil der Geschichte sein, da er sonst keine allwissende Position einnehmen kann.

Genauso ist es jedoch möglich, dass der auktoriale Erzähler nur so viel weiß wie beispielsweise die Hauptfigur, oder dass er zumindest so tut, als wäre das der Fall. Ein interessantes Beispiel für einen auktorialen Erzähler, der nicht allwissend ist, ist die Geschichte "Frankenstein" von Mary Shelley. Darin gibt es einen Erzähler, der sich direkt zu Beginn auch als Verfasser der Zeilen zu erkennen gibt. Er erzählt nicht seine eigene Geschichte, sondern die von Frankenstein, und zwar in der Form, wie Frankenstein sie ihm erzählt hat. Er gibt also die Geschichte einer anderen Person wieder. Besonders spannend an dieser Geschichte ist jener Punkt, an dem Frankenstein auf sein Monster trifft und dieses Monster ihm seine bisherige Lebensgeschichte erzählt. Der Verfasser erzählt also eine Geschichte, die ihm wiederum Frankenstein erzählt hat, der wiederum Teile der Geschichte von seinem Monster erfahren hat. Auch aufgrund dieses Stils gehört Frankenstein zu einem meiner Lieblingsbücher.


Der Ich-Erzähler

Wieder im Kommen scheint derzeit die Form des Ich-Erzählers zu sein, was wir sicherlich auch "Twilight" und der dazugehörigen Fanfiction (inzwischen eigenständigem Roman) "Fifty Shades of Grey" zu verdanken haben, die beide in diesem Stil verfasst sind und enorme Popularität errungen haben. Der Ich-Erzähler ist, wie der Name schon sagt, eine Form, bei der der Verfasser aus seiner eigenen Perspektive erzählt. Er muss nicht zwingend die Hauptfigur sein - beispielsweise ist "Sherlock Holmes" aus der Ich-Perspektive geschrieben, allerdings von Doktor Watson, der ja bekanntlich nicht die Hauptperson ist - häufig ist dies jedoch heutzutage der Fall. Die Ich-Perspektive bietet sehr viele Möglichkeiten und verschiedenste Ausgestaltungsformen, doch wer darüber nachdenkt, diese Form zu wählen, sollte sich auch der Nachteile bewusst sein. Als Ich-Erzähler ist man niemals allwissend. Man hat immer eine Perspektive und man muss sich darüber im Klaren sein, dass dem Leser dadurch eventuell Informationen, die einem als Autor völlig klar sind, verloren gehen. Das ist natürlich gleichzeitig auch die große Stärke dieser Form, da man mit kaum einer anderen Perspektive den Leser so leicht an der Nase herumführen kann. Doch nur, wenn man sich bewusst ist, dass der gewählte Ich-Erzähler die Welt durch seine persönliche Brille sieht und entsprechend nicht alle Informationen zur Verfügung haben kann, nur dann kann man diesen Stil mir Erfolg bewältigen!

✒️ Die Kunst des SchreibensWhere stories live. Discover now